Ausgabe 1/2022, Januar

WIdO-Themen

Krebsfrüherkennung: Angebote werden zu wenig genutzt

Viele AOK-Versicherte nehmen die Krebsfrüherkennungsangebote der gesetzlichen Krankenversicherung nicht wahr. Das gilt vor allem für die Darmkrebsfrüherkennung sowie für das Prostata-und Hautkrebs-Screening.

Das WIdO hat aktuell die Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen in der gesetzlichen Krankenversicherung im Längsschnitt von zehn Jahren untersucht. Zu den Maßnahmen gehören bei Frauen unter anderem die Gebärmutterhalskrebs- Früherkennung ab dem Alter von 20 Jahren, das Abtasten der Brüste ab dem Alter von 30 Jahren, das Hautkrebs-Screening ab dem Alter von 35 Jahren, die Brustkrebsfrüherkennung durch Mammografie im Alter zwischen 50 bis 69 Jahren sowie die Darmkrebsfrüherkennung mit der Koloskopie ab dem Alter von 55 Jahren. Bei den Männern beginnen die Früherkennungsmaßnahmen beim Hautkrebs-Screening mit dem Alter von 35 Jahren, ab dem Alter von 45 Jahren folgt dann die Krebsfrüherkennung beim Mann, die auch die Früherkennung auf Prostatakrebs beinhaltet, und schließlich das Darmkrebs-Screening mit der Koloskopie ab dem Alter von 50 Jahren.

Diese Untersuchungen erreichen viele der AOK-Versicherten nicht. Zwischen 2011 und 2020 haben nur etwa 61 Prozent der Frauen regelmäßig – also mindestens drei Untersuchungen in zehn Jahren – am Mammographie-Screening mit einer Röntgenuntersuchung der Brust teilgenommen. Etwa 24 Prozent der anspruchsberechtigten Frauen blieben diesem Screening ganz fern. Die höchsten Teilnahmeraten in Höhe von 75 Prozent (Teilnahme mindestens dreimal innerhalb von zehn Jahren) sind bei der Früherkennung von Gebärmutterhalskrebs bei den 29- bis 59-jährigen Frauen festzustellen.

Das Hautkrebs-Screening weist besonders niedrige Teilnahmeraten auf. Etwa 30 Prozent (Frauen) und 27 Prozent (Männer) der Versicherten im Alter zwischen 44 bis 90 Jahren hatten mindestens drei Untersuchungen in zehn Jahren gehabt. 36 Prozent der anspruchsberechtigten Frauen und 39 Prozent der Männer verzichteten ganz darauf. An den Koloskopien, die Bestandteil des Darmkrebs-Screenings sowie der ambulanten und stationären Versorgung sind, nahmen 57 Prozent der Männer und 58 Prozent der Frauen in einem Zeitraum von zehn Jahren nicht teil. Immerhin wurde bei einem größeren Teil dieser Versicherten die iFOBT-Untersuchung (immunologischer fäkaler Okkultbluttest, Untersuchung auf Blut im Stuhl) vorgenommen, die auch zum Darmkrebs-Screening gehört.

Hendrik Dräther leitet den Forschungsbereich Ambulante Analysen und versorgung des WIdO.

„Die Krebsfrüherkennungsprogramme der gesetzlichen Krankenversicherung werden noch von zu wenigen Versicherten in Anspruch genommen.“

Hendrik Dräther leitet den Forschungsbereich Ambulante Analysen und versorgung des WIdO.

Qualitätssicherung mit Routinedaten: Weniger Komplikationen bei Gelenkersatz

Im Oktober 2021 wurden im AOK-Gesundheitsnavigator die Klinikergebnisse aus der Qualitätssicherung mit Routinedaten (QSR) aktualisiert. Einzelne Indikatoren zeigen positive Entwicklungen.

Das Kliniksuchportal der AOK, der Gesundheitsnavigator, bietet QSR-Ergebnisse zur Behandlungsqualität in 11 Leistungsbereichen aus der Bauchchirurgie, der Kardiologie, der Urologie sowie der Orthopädie und der Unfallchirurgie an. Die Qualitätsindikatoren auf der Basis von AOK-Routinedaten berücksichtigen Behandlungsverläufe bis zu einem Jahr. Für das Update wurden insgesamt rund 973.000 Eingriffe in den Jahren 2017 bis 2019 ausgewertet und bis Ende 2020 nachbeobachtet.

Die QSR-Ergebnisse zum Hüft- und Kniegelenkersatz bei Arthrose werden seit zehn Jahren veröffentlicht und für das Klinikmanagement aufbereitet. In diesem Zeitraum konnten chirurgische Komplikationen und Revisionseingriffe innerhalb eines Jahres nach diesen Eingriffen deutlich verringert werden. So sank die Rate der chirurgischen Komplikationen nach Kniegelenkersatz von 4,1 Prozent im Jahr 2010 auf 2,4 Prozent im Jahr 2019. 

Allerdings bestehen für den aktuell im AOK-Gesundheitsnavigator Gesundheitsnavigator dargestellten Zeitraum weiterhin deutliche Unterschiede zwischen den Krankenhäusern. Während bei den Kliniken mit unterdurchschnittlicher Qualität nach jedem zwölften Kniegelenkersatz ein Komplikationsereignis auftrat, war dies bei Kliniken mit einer überdurchschnittlichen Qualitätsbewertung nur nach jedem 45. Eingriff der Fall. Beim Hüftgelenkersatz bei Arthrose ergibt sich mit Komplikationen nach jedem neunten beziehungsweise 31. Eingriff ein ganz ähnliches Bild.

Die WIdO-Themen zum Herunterladen

Analysen – Schwerpunkt: Vulnerabilität

Soziale Ungleichheit und Gesundheit - von Daten zu Taten

Andreas Mielck, ehemals Helmholtz-Zentrum München, und Verina Wild, Universität Augsburg

Morbidität und Mortalität sind in Gruppen mit niedrigerem sozioökonomischem Status zumeist besonders hoch. Doch was folgt aus diesen empirischen Ergebnissen? Zu dieser Frage gibt es noch großen Diskussionsbedarf. So ist beispielsweise eine stärkere Integration ethisch-normativer Analysen notwendig, einschließlich eines differenzierten Umgangs mit dem Begriff Vulnerabilität. Bislang wird in Deutschland kaum darüber diskutiert, ob (und wenn ja, warum) diese gesundheitlichen Ungleichheiten wirklich ungerecht sind und daher verringert werden sollten. Großer Diskussionsbedarf besteht auch bei der Entwicklung von Maßnahmen zur Verringerung dieser gesundheitlichen Ungleichheit. Fortschritte sind nur auf Grundlage einer engen Zusammenarbeit zwischen normativer und empirischer Wissenschaft und Praxis zu erwarten. Hier sind in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte erzielt worden, aber es bleibt noch viel zu tun. Im Beitrag geht es auch um die Frage, wie der Weg von Daten zu Taten gestaltet werden könnte. Zu diesem Zweck schlagen die Autoren einen Stufenplan für die gesundheitspolitische Entscheidungsfindung vor.

New Public Health, Gesundheitsförderung und Prävention - Leerstellen im Pakt für den ÖGD

Thomas Altgeld, Landesvereinigung für Gesundheit und Akademie für Sozialmedizin Niedersachsen, Hannover

Der Pakt für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD) in Deutschland greift bislang zu kurz, weil er nicht inhalts-, sondern strukturdeterminiert ist. Er sucht die Lösungen dort, wo der ÖGD mal stark war: im Gesundheitsschutz der Bevölkerung und in einem Personalaufwuchs vor allem mit besser bezahlten Ärztinnen und Ärzten. Die zentralen Stellschrauben von New Public Health werden nicht bedient, gesundheitliche Chancengleichheit spielt in der Diskussion keine Rolle. Gesundheitliche Chancengleichheit als zentrales Ziel kommunaler Gesamtkonzepte erfordert mehr als eine Insiderdiskussion von gut organisierten medizinischen Berufsverbänden: Sie braucht eine breite gesellschaftliche Debatte. Dazu gehört eine grundlegende Aufgabenkritik des ÖGD.

Hauptsache gesund?! Soziale Ungleichheit und Gesundheit im Kinder- und Jugendalter

Eike Quilling, Hochschule für Gesundheit, Bochum, Anna Lena Rademacher, FH Bielefeld et al.

Armut und Gesundheit korrelieren miteinander. Daran besteht wenig Zweifel. Dieses Verhältnis zeigt sich auch in dem immer weiteren Auseinanderdriften zwischen Arm und Reich und verdeutlichte sich zuletzt in den Folgen der Corona-Pandemie. Menschen im Kinder- und Jugendalter trafen die Folgen besonders schwer. Sie gelten paradoxerweise gleichzeitig als eine vergessene Gruppe jener Episode. Skizziert werden soll hier zum einen, welche Auswirkung die Relation von Armut und Gesundheit in Zeiten von Corona für die Jugendlichen hat. Zum anderen sollen Konzepte und Lösungsvorschläge beschrieben werden, die eine partizipative und kommunale Gesundheitsförderung ermöglichen.