Ausgabe 2/2023, Mai
WIdO-Themen
Krankenhaus-Report 2023: Personalprobleme rechtzeitig angehen
Obwohl die Zahl der Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte steigt, verschärfen sich die Personalprobleme in den Kliniken. Der neue Krankenhaus-Report nennt Details und zeigt Lösungen auf.
Rund 56 Prozent der Beschäftigten im Krankenhaus sind Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte. Im Zeitraum von 2000 bis 2021 ist beim ärztlichen Personal ein kontinuierlicher Zuwachs an Vollkräften (durchschnittlich 2,24 Prozent pro Jahr) zu verzeichnen (s. Abbildung). Die Zahl der Pflegekräfte steigt im gleichen Zeitraum um durchschnittlich 0,53 Prozent pro Jahr, wobei nach einer zunächst rückläufigen Entwicklung ab 2019 deutliche Steigerungen erkennbar sind. Diese Entwicklung ist auf die Einführung von Pflegepersonaluntergrenzen und der Selbstkostendeckung in der Pflege zurückzuführen. Betrachtet man die Entwicklung der Inanspruchnahme im Verhältnis zu den Vollkräften, zeigt sich, dass seit 2000 die Zahl der Fälle je Ärztin/ Arzt kontinuierlich und insgesamt um 39 Prozent zurückgegangen sind. Besonders ausgeprägt ist diese Entwicklung ab 2020, da hier aufgrund der Corona-Pandemie die Fallzahlen deutlich gesunken sind. In der Pflege geht aus den Daten, gemessen an der Zahl der Fälle je Pflegekraft, bis zum Jahr 2016 ein Anstieg der Arbeitsbelastung (+16 Prozent) her- vor. Anschließend ist insbesondere zu Pandemie-Zeiten ein Rückgang erkennbar, sodass die Gesamtveränderung von 2000 bis 2021 –13 Prozent beträgt. Aufgrund der sich verkürzenden Verweildauer geht die Zahl der Belegungstage je Vollkraft jeweils deutlicher zurück.
Im neuen Report geht es auch um die Frage, welche Optionen in unterschiedlichen Bereichen bestehen, um die Berufsattraktivität zu erhöhen. Das betrifft sowohl das Personalmanagement, die Ausbildung, die Robotik und die Digitalisierung als auch Effekte durch eine Veränderung des Vergütungssystems und der Strukturen des Krankenhausmarktes. Durch einen strukturellen Umbau der Klinik- und Versorgungslandschaft ließe sich eine bessere und zielgerichtetere Verteilung der knappen Personalressourcen erreichen. Zudem könnte eine stärkere Ambulantisierung sowie eine Reform der Notfallversorgung zu einer deutlichen Entlastung des Personals in den Krankenhäusern führen.
Trotz dieser augenscheinlich positiven Entwicklung der Personalausstattung ist das Thema Arbeitsbelastung in der Corona-Pandemie verstärkt auch in den Fokus der Öffentlichkeit geraten. Insbesondere die sehr aufwendige Versorgung der Corona-Erkrankten und der hohe Krankenstand führten zu Engpässen. Zudem ist aufgrund der demografischen Entwicklung, des entsprechend zunehmenden Personalbedarfs, der steigenden Teilzeitquote und der angespannten Arbeitsmarktsituation mit einer Verschärfung des Personalproblems zu rechnen. Ein entsprechendes Handeln ist geboten.
„Die Personalengpässe im Krankenhaus brauchen vielfältige Antworten. Ein Strukturwandel der Krankenhauslandschaft und mehr Ambulantisierung würden die Situation in der Pflege entschärfen.“
Carina Mostert ist Forschungsbereichsleiterin Krankenhaus im WIdO.
Gesundheitsatlas bietet interaktive Recherchemöglichkeit: regionale Unterschiede und zeitliche Entwicklung
Politik hat das Ziel, regional gleichwertige Lebensverhältnisse zu ermöglichen. Damit die politisch Handelnden zielgerichtete Versorgungs- und Präventionsangebote entwickeln können, ist es wichtig, die gesundheitliche Situation der Bevölkerung in ihren Regionen zu kennen. Das WIdO hilft dabei mit einer Webseite.
Mit einer neuen Webseite macht das WIdO regionale Gesundheitsunterschiede transparent. Krankheitshäufigkeiten auf Ebene der Bundesländer und Kreise beziehungsweise kreisfreien Städte können erkundet werden. In Zeitreihen lassen sich regionale Entwicklungen betrachten. Zudem steht die vollständige Publikationsreihe des Gesundheitsatlas als Download zur Verfügung.
Seit 2019 erschienen jährliche Berichte – bisher zu Typ-2-Diabetes, Asthma, COPD und koronarer Herzkrankheit. Darin finden sich Informationen zur Entstehung und Prävention der Erkrankun- gen. Die Ergebnisse zum Zusammenhang mit regionalen Faktoren wie der Siedlungsstruktur oder der sozioökonomischen Deprivation werden visualisiert.
Alle Ergebnisse stehen als Grafiken und Datentabellen zum Download zur Verfügung, ergänzt um ein Methodendokument, das die Falldefinitionen sowie das Hochrechnungsverfahren von den AOK-Versicherten auf die gesamte Bevölkerung beinhaltet. Aktuell zeigt der Gesundheitsatlas 23 Krankheiten in acht Krankheitsgruppen. Künftig werden weitere Daten und Krankheiten ergänzt
Arzneimittel: Anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation 2023 erschienen
Im April ist die neue anatomisch-therapeutisch-chemische Klassifikation (ATC) mit Tagesdosen (DDD) für den deutschen Arzneimittelmarkt erschienen.
Aufgrund der zunehmenden Anzahl neuer Arzneimittel mit Wirkung auf das Immunsystem wurde der Bereich Immunsuppressiva mit Bezug auf Pharmakologie und Wirkmechanismus neu überarbeitet. Das WIdO passt die internationale ATC/DDD-Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jedes Jahr an die Besonderheiten der Versorgungssituation in Deutschland an.
QSR-Verfahren: Adipositas und Gelenkersatz
Adipositas erhöht das Risiko für Komplikationsraten bis zu einem Jahr nach Hüft- und Kniegelenkersatz bei Arthrose sowie Prothesenwechsel-OPs. Das zeigt eine aktuelle Studie des WIdO.
Patienten mit Adipositas haben ein erhöhtes Risiko für Revisions-OPs, chirurgische Komplikationen, Allgemeinkomplikationen und Sterblichkeit nach Gelenkersatz oder Prothesenwechsel. Ein Body-Mass-Index (BMI) über 40 kg/m² erhöht das Komplikationsrisiko um 30 bis 260 Prozent, so eine neue WIdO-Studie. Patientinnen und Patienten sollten daher vor einem Eingriff über das erhöhte OP-Risiko aufgeklärt und Maßnahmen zur Prävention von Komplikationen ausgeschöpft werden. Auf Grundlage des Verfahrens „Qualitätssicherung mit Routinedaten (QSR)“ wurden 1.046.145 stationäre AOK-Fälle aus den Jahren 2008 bis 2017 ausgewertet. Entsprechende Leitlinien (EKIT Hüfte 3/2021, Knie 1/2018) empfehlen Gewichtsreduktion bei einem BMI ³ 30 kg/m² und eine besonders kritische Abwägung von Nutzen und Risiken einer Gelenkersatz-OP bei einem BMI ³ 40 kg/m².
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Analysen – Schwerpunkt: Frauen in der Medizin
Sind Frauen die besseren Ärzte?
Barbara Puhahn-Schmeiser, Neurochirurgische Klinik, Universitätsklinik FreiburgDie in den vergangenen Jahren stetig steigende Zahl von Frauen im Arztberuf wird von Funktionären teilweise mit gemischten Gefühlen wahrgenommen. Immer wieder wird kolportiert, dass diese Entwicklung die Patientenversorgung insgesamt gefährde. Die Bedenken beziehen sich weitgehend auf eine geringere Flexibilität sowie den Ausfall wegen Mutterschaft und einen verzögerten Wiedereinstieg. Die Ursachen für solche Phänomene liegen jedoch maßgeblich in fehlenden Rahmenbedingungen in der Arbeitswelt. In Bezug auf die Behandlungsqualität lassen weitreichende wissenschaftliche Studien keinen Zweifel mehr daran, dass die Behandlungsweise von Ärztinnen der ihrer männlichen Kollegen zumindest gleichwertig, in bestimmten Fällen sogar überlegen ist. In Zeiten des Fachkräftemangels sind hervorragend ausgebildete Ärztinnen, die nach der Elternzeit nicht mehr ans Patientenbett zurückkehren, eine unerschlossene Ressource, die es durch das Schaffen entsprechender Rahmenbedingungen zu gewinnen gilt.
Hin zu einer geschlechtersensiblen Gesundheitsversorgung
Regina Rapp-Engels, Deutscher Ärztinnenbund, BerlinSeit über 40 Jahren fordern Frauen die Erweiterung des Blickwinkels beziehungsweise einen Blickwechsel in der primär an männlichen Probanden und Patienten ausgerichteten medizinischen Forschung und gesundheitlichen Versorgung. Die Frauen- und etwas später die Männergesundheitsforschung haben sich inzwischen etabliert. Heute werden diese Felder unter dem Begriff Gendermedizin subsumiert. Zum einen sind biologische Unterschiede jenseits der Reproduktionsorgane, die beispielsweise den Arzneimittelstoffwechsel beeinflussen, zu beachten. Zum anderen spielen lebensweltliche geschlechtsspezifische Unterschiede, wie Rollenzuschreibungen oder das Gesundheitsver- halten, eine Rolle. Bei der umfassenden Betrachtung von Gesundheit und Krankheit im biopsychosozialen Modell sind weitere Faktoren und soziale Kategorien im Sinne der Intersektionalität nicht additiv, sondern im gleichzeitigen Zusammenwirken zu analysieren.
Ärztinnen in fachärztlicher Weiterbildung in Deutschland - Ergebnisse der KarMed-Studie
Rüya-Daniela Kocalevent und Hendrik van den Bussche, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Hamburg-EppendorfFast die Hälfte der Ärzte in den OECD-Staaten sind weiblich. Auch in Deutschland beträgt der Anteil der Absolventinnen im Medizinstudium nahezu zwei Drittel. Dennoch gibt es große Hürden im beruflichen Fortkommen von Ärztinnen. Die vorliegende Arbeit befasst sich mit dem Einfluss des Belastungserlebens (bis hin zu Burn-out) von Ärztinnen mit Kindern und ohne Kinder auf ihre Zufriedenheit mit der fachärztlichen Weiterbildung. Dafür wurden die Daten der multizentrischen prospektiven KarMed-Studie ausgewertet. 21 Prozent der befragten Ärztinnen gaben an, Familie und Beruf für nicht vereinbar zu halten. Dabei verteilte sich das Belastungserleben von Ärztinnen mit und ohne Kind signifikant unterschiedlich. Regressionsanalytisch ließ sich zeigen, dass die Zufriedenheit von Ärztinnen mit der fachärztlichen Weiterbildung mit dem Ausmaß der emotionalen Erschöpfung, der Höhe der persönlichen Leistungsfähigkeit sowie der subjektiven Einschätzung von Vereinbarkeit von Familie und Beruf assoziiert ist.